Mehrere Millionen Menschen leiden Schätzungen zufolge unter Langzeitfolgen einer Corona-Infektion. Nun gibt es neue Hinweise auf mögliche Ursachen. Die WHO schätzt, dass zwischen 10 bis 20 Prozent der einmal mit Corona Infizierten unter Long Covid leiden könnten. Bei der Diagnose und Behandlung gab es bislang jedoch kaum Fortschritte. Neue Studien liefern jetzt immerhin erste Hinweise auf die Ursachen der Beschwerden. Damit wächst die Hoffnung, auch andere chronische Krankheiten besser verstehen zu können. Eine im Januar in der Zeitschrift "Science" veröffentlichte Studie konnte entscheidende Unterschiede in den Proteinen im Blut von mehr als 110 Long-Covid-Patienten nachweisen. Der Schweizer Immunologe Onur Boyman, Mit-Autor der Studie, hält diesen Fund für ein "entscheidendes Puzzle-Teil" zur Klärung der Frage, warum das Coronavirus im Körper mancher Menschen solange sein Unwesen treibe. Interview mit Fachärztin: "Diese Menschen trifft Long Covid häufig" Long Covid "messbar" Ein Teil des Immunsystems, das sogenannte Komplementsystem, das normalerweise eine Infektion bekämpft, indem es die infizierten Zellen tötet, bleibt bei Menschen mit Long Covid aktiv und greift weiter an – jetzt allerdings gesunde Zellen. So schädigt es laut Forschern das Gewebe. Boyman betont, dass das Komplementsystem von Long-Covid-Patienten sich wieder normalisiere, sobald diese sich von Corona erholten. Das spreche für eine engen Zusammenhang. "Das zeigt, dass Long Covid eine Krankheit ist, die man tatsächlich messen kann", sagt er. Er hofft, dass diese neue Erkenntnis zur Entwicklung eines Tests führen kann. Wissenschaftler, die nicht an der Studie beteiligt waren, geben zu bedenken, dass die "Fehlregulierung" des Komplementsystems nicht all die vielfältigen Ausprägungen der Corona-Langzeitfolgen erklären könne. Trotzdem sei es "großartig, dass Studien, die jetzt herauskommen, erste Hinweise auf Erklärungen für Long Covid enthalten", sagt Claire Steves, Professorin für Altern und Gesundheit am Londoner King"s College. Anomalien im Muskelgewebe Long-Covid-Patientin Lucia aus den USA , die ihren Nachnamen nicht nennen möchte, weist auf eine andere neuere Veröffentlichung im Fachblatt "Nature" hin, die bei Long-Covid-Patienten Anomalien im Muskelgewebe und Fehlfunktionen der Mitochondrien – den Kraftwerken der Zellen – feststellte. Dies könnte die Erschöpfung sogar nach kleinsten Anstrengungen erklären. Für Lucia, Mitglied einer von Patienten geführten Forschungsgruppe, ist seit ihrer Corona-Erkrankung das Treppensteigen zu ihrer Wohnung ein täglicher Kampf. Als sie sich im März 2020 Covid zuzog, hätte sie sich nicht vorstellen können, dass es "jeden Aspekt" ihres Lebens beeinträchtigen würde – "auch in sozialer und finanzieller Hinsicht". Lucia betont, dass Leute wie sie nicht nur mit zahlreichen Gesundheitsproblemen zu tun hätten. Sie litten auch darunter, dass ihr soziales Umfeld und Ärzte ihnen nicht glaubten oder sie nicht ernst nähmen. Moralische Unterstützung entscheidend Wie wichtig moralische Unterstützung für Patienten ist, zeigt eine im Februar veröffentlichte Studie in der Zeitschrift "British Medical Journal" auf. Danach verbesserte sich die Lebensqualität von Long-Covid-Patienten durch Gruppen-Reha-Maßnahmen. Für Ziyad Al-Aly, Epidemiologe an der Washington University in St. Louis, ist Long Covid so schwer zu begreifen, weil es eine "Multi-System-Krankheit" ist. "Wir sind so geschult, dass wir bei Krankheiten an Organsysteme denken", zum Beispiel bei Herz- oder Lungenkrankheiten, sagt er. Initiative "Long Covid" gestartet Das Rätsel um Long Covid zu lösen, hätte einen weitreichenden Nutzen. Neue Behandlungsansätze könnten auch beim Kampf gegen andere Krankheiten wie chronische Fatigue oder lang anhaltende Grippesymptome (long flu) helfen. So lange bleibt es Forschern und Medizinern nur, zu regelmäßigen Corona-Impfungen zu raten, um das Long-Covid-Risiko zu verringern. Das Bundesgesundheitsministerium hat die Initiative Long Covid gestartet, um zumindest über neue Forschungserkenntnisse und Anlaufstellen zu informieren.